Filmkritik GibMirNochEinJahr A4 .pdf
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Original filename: Filmkritik-GibMirNochEinJahr_A4.pdf
Title: Gib mir noch ein Jahr
Author: Curtis Burz
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Filmkritik
„Gib mir noch ein Jahr“
Stephan lebt in Berlin und ist arbeitslos.
Zusammen mit seiner Ex-Freundin teilt er sich
das Sorgerecht für seinen Sohn Jasper, doch
während andere Väter mit ihren Kindern ins
Kino gehen können, durchstöbern die beiden
an ihren gemeinsamen Tagen oft Altkleidercontainer oder sammeln Pfandflaschen.
Jasper liebt seinen Vater und deckt
ihn gegenüber der Mutter und dem
Jugendamt, aber Stephan fällt es immer
schwerer, seinen eigenen freien Fall durch
das deutsche Sozialnetz zu ertragen.
Ihm ist klar, welche beruflichen und privaten
Fehler gemacht hat und als er erkennt, dass er
nun auch Gefahr läuft, als Vater zu versagen,
entschließt er sich zu einem ruhigen Abschied
und einer schweren Verzweiflungstat.
Regisseur Curtis Burz hat mit „Gib mir noch ein
Jahr“ einen Film geschaffen, der uns den sozialen Abstieg eines Menschen vor Augen führt,
als dieser schon am unteren Rand der Sozialgesellschaft angekommen ist. Langsam und gezielt lässt er uns erahnen, wer und was Stephan
einmal war, bevor sich sein Leben durch einen
folgenschweren Fehler in ein Dasein verwandelte, an dem er jeden Tag aufs Neue verzweifelt.
Geschickt umschifft Burz einfachen Sozialneid
und vermeidet Angriffe auf konkrete Institutionen und Gegebenheiten, sondern zeichnet
selbst Randfiguren mit sorgfältiger Distanz
und sichtlichem Verständnis, auch wenn sie
dazu beitragen, Stephan das Leben schwer zu
machen. Die Sozialarbeiterin und Stephans
Ex-Freundin sind tatsächlich um Jaspers Wohl
besorgt, die junge Hausverwalterin bleibt trotz
horrender Mietschulden freundlich und die
Personalchefin eines Krankenhauses behandelt
ihn trotz mangelnder Empfehlungsschreiben
wie einen ernstzunehmenden Kandidaten
für eine verantwortungsvolle Position. Sie
alle haben eigene Vorgaben, Regeln und
Prioritäten, die allein gesehen durchaus Sinn
machen – Stephan an diesem Punkt seines
Lebens allerdings zum Verhängnis werden.
Stephans eigenes Fehlverhalten wird uns
ähnlich dezidiert präsentiert, beispielsweise in
einer Szene, in der Jasper seinem Vater etwas
sagt, was dieser vielleicht schon früher hätte
hören sollen: „Papa?“, fragt er scheu, als beide
vor der Waschmaschine sitzen und überlegen,
was sie mit dem Rest des Nachmittags
anstellen sollen: „Du riechst nach Bier.“
Es sind Momente wie dieser, die den Kern und
das Herz von „Gib mir noch ein Jahr“ ausmachen, eine Aneinanderreihung von kleinen
Demütigungen, die Stephan gerade deshalb so
sehr treffen, weil er weiß, dass er sie selbst zu
verantworten hat. Ganz offensichtlich hat er
Menschen vor den Kopf gestoßen, sich gehen
lassen, seinen Kummer im Alkohol ertränkt und
ist nun an einem Punkt angelangt, an dem er
nicht mehr vergessen kann, was er im Laufe
der Zeit verloren hat. Leider fehlt ihm aber
inzwischen nicht nur die Möglichkeit, sondern
auch die Kraft, den einstigen Status Quo wieder
zu erlangen – der Abgrund ist zu nah und sein
Willen durch den langen Sinkflug gebrochen.
Durchgehend glaubhaft und mitreissend
gespielt und durch Kamera und Filmmusik mit
einer rührenden Zärtlichkeit unterlegt, erzählt
uns „Gib mir noch ein Jahr“ eine Geschichte, die
sich immer wieder in unserer direkten Nachbarschaft abspielen könnte, mehrere Male pro Jahr.
Im täglichen leben können wir noch verschämt
wegschauen – bei diesem Film können wir es
nicht.
Karsten Kastelan
Filmjournalist, Verband der deutschen Filmkritik

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