FÜR SIE 03 2016 .pdf




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Verlust

Trauer

Report

Not

Schulden

Ich geb
nicht auf!
Existenzangst

Schmerz

Einsamkeit

Nein, das Leben meint es nicht immer gut mit uns. Manchmal
erscheint es sogar sinnlos. Bei einer schweren Krankheit etwa oder
dem Verlust eines geliebten Menschen. Wie soll es dann bloß
weitergehen? Drei Frauen haben darauf eine Antwort gefunden

Hilflosigkeit

Depression

D

Zorn

as wirklich Schlimme, denken wir,
passiert immer den anderen. Und
doch kann das Unglück jeden von
uns binnen Minuten heimsuchen: die Diagnose
einer erschreckenden Krankheit, der Tod eines
geliebten Menschen, die schmerzhafte Trennung
vom Partner oder der finanzielle Ruin. Von einem Tag auf den anderen ist dann nichts mehr
wie zuvor. Plötzlich und unerwartet stellt sich
die Frage: Wie werde ich das überleben können?
Hat das Leben so überhaupt noch einen Sinn?
Fassungslos stehen wir einer Tragödie gegenüber,
für deren Ausmaß oft die Worte fehlen. Und der
gut gemeinte, allseits bekannte Ratschlag, eine
Krise als Chance anzusehen, wirkt wie eine
hohle Phrase. Es gibt Situationen im Leben, in
denen wir an unsere Grenzen kommen, in einer
Sackgasse vor einer meterhohen Mauer stehen
und meinen, es nicht mehr ertragen zu können.
Und dann streckt sich uns doch, manchmal

Arbeitslosigkeit

schon nach Wochen, manchmal erst nach Jahren,
aus diesem dunklen Tunnel, in dem wir gefangen
sind, eine Hand entgegen. Es kann ein Mensch
sein, der unvermittelt an unsere Seite tritt, die
richtigen Worte findet oder uns still in den Arm
nimmt und mit uns gemeinsam den unfassbaren Schmerz aushält. Es kann eine kleine Idee
für eine neue Zukunft sein, die den Hoffnungsschimmer zurückbringt.
Unser Überlebenstrieb ist immens, und das
ist tatsächlich ein großer Segen und ein unschätzbares Glück, denn die meisten von uns
hält er fern von der Brücke, an deren Geländer
wir in Gedanken schon gestanden haben. Unsere drei Interviewpartnerinnen haben erlebt,
wie es sich anfühlt, nicht mehr zu wissen, wie
es weiter­gehen soll. Aber sie haben Ja gesagt, Ja
zum L
­ eben. Ihre Geschichten sind bewegend,
berührend und m
­
­ achen unendlich viel Mut,
­niemals ­aufzugeben.

Einsamkeit

Ruin

MANUELA JUKIEL, 45,
Gehschul­trainerin für
Amputierte, Zeulenroda-­
Triebes
Jeden Morgen nach dem Aufwachen
setze ich mich auf die Bettkante,
schlüpfe in meine Beinprothese – und
los geht’s. Vor sechs Jahren wurde
mein rechter Unterschenkel amputiert. Im Januar 2015 musste auch das
Knie noch entfernt werden aufgrund
irreparabler Schäden.
Es mag sich verrückt anhören,
aber die erste Amputation habe ich
als R
­iesenchance angesehen, wieder beweglich sein zu können. Drei
furchtbare Jahre lang hatte ich
diesen „Klumpen“ von Fuß mit
mir ­
herumgetragen und höllische
Schmerzen gehabt, weil sich nach einer eigentlich harmlosen Operation
an einem Zeh bei mir das noch kaum
­erforschte CRPS-Syndrom entwickelt
hatte. ­Dieses Schmerzsyndrom führt
zu Durchblutungsstörungen und
schließlich völliger Funktionslosigkeit des Körperteils.
Tatsächlich erwähnten meine Kinder eine Amputation als Erste. Sie
verglichen ihre Mutter mit ihrem
Vater. Mein Mann, und das ist schon
sehr schräg, trägt seit seinem 22. Lebensjahr nach einem Arbeitsunfall
eine Beinprothese. Die Kinder sagten
sich, wenn Vati mit seiner Prothese sogar für Reparaturen aufs Dach
klettern kann und Mutti mit ihren
zwei Beinen immer nur auf einem
hinterherhüpft, dann kann doch ein
Ersatzfuß die Lösung sein. Ich konnte also relativ angstfrei das Thema
und die OP angehen, weil ich meinen
Mann an der Seite hatte. Hätte ich
nie mit Amputierten zu tun gehabt,
wäre das wohl anders gewesen. Aber
auch Freunde sagten nicht: „Ach, du
Ärmste.“ Sie haben mich – im doppel-

Unterstützung
Unbeweglichkeit

Befreiung
ten Wortsinne – einfach ein
Stück getragen. Das macht
mich unendlich glücklich.
Ich bin ohnehin der Typ, der
bei Problemen immer beide
Seiten sieht – die negative,
aber auch die positive. Für
mich stand fest: Schlimmer
konnte es durch eine Amputation nicht werden, nur besser.
Das Aufwachen war befreiend, auch
wenn der Phantomschmerz bei mir
besonders schlimm ausfällt, weil das
Gedächtnis den Schmerz schon über
einen so langen Zeitraum gespeichert
hat. Ich versuche, ihn mental zu bezwingen, unter anderem durch Ablenkung. Sicher ist da jeder anders,
es gibt auch zahlreiche Suizide unter
Amputierten.
Vier Monate nach der Unterschenkelamputation habe ich meine erste
Prothese angelegt, die Krücken weggeworfen und bin losspaziert. Ich war
als examinierte Pflegekraft berufsunfähig, habe aber von dem Sanitätshaus, das meine Prothesen macht, das
Angebot bekommen, eine Ausbildung
zur Gehschultrainerin zu machen.
Letztes Jahr fand die zweite OP statt.
Ich bin zwar auch danach schnell
wieder auf die Beine gekommen,
aber es gibt dunkle Phasen. Ich weine dann nicht, sondern bin wütend:

dunkle Phasen

Geduld
Wut

gefangen

mentale Stärke
„Verdammt, warum geht das nicht?
Die Prothese nervt, es kotzt mich
­alles an!“ Diese Momente nutze ich als
Signal: „Manu, mach Pause und sei
geduldig mit dir. Nimm es hin, dass
das Gehen anstrengender ist, weil dir
Knie und Unterschenkel fehlen.“
Trotzdem kann ich alles mitmachen. Ich sage eindeutig Ja zum Leben - mit Selbstbewusstsein. Unsere
Jüngste war sechs Jahre alt, als ich die
Unterschenkelprothese bekam. Klar
hat die gerufen: „Mama, schubs mich
auf der Schaukel an“, und ich war zur
Stelle. Auf meine vier Kinder bin ich
überhaupt sehr stolz: Der 18-Jährige lernt KFZ-Mechatroniker in einer
Werkstatt, die sich auf behindertengerechte Fahrzeuge spezialisiert hat.
Und der 16-Jährige kam letztens vom
Gymnasium nach Hause und erzählte,
die Schüler hätten einen Vortrag halten sollen über eine Person, die ihnen
als Vorbild gilt. „Mama“, hat er gesagt,
„ich habe über dich gesprochen.“
FÜR SIE

03/2016

49

Report

Trauer & Schmerz

Familie
Schreiben

SANDRA VÖLKER, 41,
Büroangestellte in Elternzeit,
Lübeck

Endgültigkeit

Glaube
Rückschritt
Albtraum

SILKE SZYMURA, 33,
Psychologie­studentin,
Frankfurt
Julian kam jeden Abend nach Hause
und sagte: „Ich freue mich, dich zu sehen!“ Er hat immer sehr in der Gegenwart gelebt, war dankbar für so vieles
und konnte auch Kleinigkeiten wertschätzen. Das habe ich besonders an
ihm bewundert. Julian hat das Leben
sehr geliebt. Er wurde nur 29 Jahre alt.
Vor zweieinhalb Jahren flogen
wir nach Nepal. Ich hatte dort 2011
ein Ehepaar kennengelernt, das 14
Pflege­k inder betreut und das ich heute mit meinem Verein Sahaya – Hilfe
für Nepal e. V. unterstütze. Julian war
Mitbegründer, und diese Reise war
sein erster Besuch in Nepal. Am Ende
unserer ersten Woche machten wir
einen Spaziergang auf einen Hügel.
Ohne Vorwarnung, ohne etwas zu sagen, kippte Julian neben mir um. Und
war tot. Es war ihm gut gegangen in
diesem Urlaub, auch an dem Morgen.
Er hatte keine Vorerkrankungen.
Touristen, die mit dem Auto vorbeikamen, fuhren uns ins Krankenhaus. Die Ärzte versuchten, ihn zu
reanimieren, aber Julian war nicht
mehr da. Die Todesursache konnte
nicht festgestellt werden. Aber das
spielt für mich auch keine Rolle. Dhan

und Rheka, das nepalesische Ehepaar,
holten mich ab und standen mir in
den kommenden Tagen bei. Trotz der
sprachlichen Barriere habe ich so viel
Wärme und Liebe erfahren in meiner
Trauer. Immer hat jemand einen Arm
um mich gelegt, während ich versuchte zu begreifen: Julian kommt nie
wieder. In Nepal wird der Tote nicht
an einen Bestatter abgegeben, sondern im Kreis der Familie betrauert
und beerdigt. Wir haben Julian in einem Kloster traditionell eingeäschert.
Die Männer der Familie wickelten ihn
in Tücher. Bis zu diesem Tag war ich
nicht gläubig. Erst durch Julians Tod
habe ich gefühlt, dass unsere Seele
unabhängig vom Körper existiert. Ich
habe ihm noch einen Brief geschrieben, der mitverbrannt wurde. Und ich
selbst habe das Feuer entzündet. So
konnte ich ihm helfen zu gehen.
In meiner Trauer habe ich Dankbarkeit gelernt. Ich bin dankbar, Julian vier Jahre lang als Mann an meiner Seite gehabt zu haben. Geholfen
haben mir in den Monaten danach
nicht nur meine Eltern, die mich wieder bei sich zu Hause aufnahmen. Ich
war lange krankgeschrieben, ging zu
einer Therapeutin und der Selbsthilfegruppe von „jung verwitwet e.V.“
sowie für acht Wochen in eine Klinik. Ich wusste, ich schaffe das nicht

­ llein. Ich habe meine Emotionen voll
a
zugelassen. Die Bilder im Kopf: Julian
fällt um. Julian liegt da. Das Krankenhaus. Der unerträgliche Schmerz.
Diese Gefühle waren im ersten Jahr
extrem stark. Die Freunde, die diese
Stunden mit mir aushielten, haben
mir sehr geholfen. Mich hat schon
früh nach Julians Tod der Wunsch
aufrecht gehalten, etwas von der Hilfe und Liebe, die ich in Nepal erfahren hatte, zurückzugeben. Seit einem
Jahr kümmere ich mich wieder intensiv um mein Sahaya-Projekt. Ich habe
meinen Job als Informatikerin gekündigt, studiere Psychologie und mache
eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin. Ich habe mein Leben komplett
umgekrempelt. Und ich möchte eines
Tages all die Texte, die ich geschrieben
habe, als Buch veröffentlichen.
Es geht mir nicht mit jedem neuen
Tag besser. Ich mache immer noch
Rückschritte und trotzdem sage ich
ganz klar Ja zum Leben. Ich kann
wieder laut lachen und mich richtig über etwas freuen. Ich empfinde
Traurigkeit nicht mehr als störend. An
manchen Tagen bin ich eben einfach
unendlich traurig. Und das ist okay so.
KONTAKT ZUR SELBSTHILFEGRUPPE
über jungverwitwet.de und zu Silke
Szymura über sahaya.de

Fotos: Evelyn Dragan für FÜR SIE (3), Dirk Silz, imago, privat; Protokolle: Karolin Leyendecker

Wärme & Liebe

Am Anfang hat es sich wie eine
schlimme Krankheit angefühlt: Ich
wusste überhaupt nicht, wie ich da­
mit umgehen sollte, dass ich völlig
verschuldet bin. Die finanzielle Not
und das Beantragen einer Privatin­
solvenz ist eine so existenzielle Krise
im Leben, die mit meinen sportlichen
Niederlagen als Profischwimmerin
nicht zu vergleichen ist.
Wenn ich einen Wettkampf nicht
gewann oder eine Qualifikation nicht
erreichte, dann wusste ich danach im­
mer, was zu tun war. Ich musste mehr
und härter trainieren und war dabei
megamotiviert. Mit meinen Existenz­
ängsten aber bin ich oft nachts schlaf­
los herumgelaufen, während mein
Kopf rotierte. Jahrelang war ich ge­
fangen in einem Hamsterrad von Geld
verdienen und Schulden abstottern.
Angefangen hatte das Problem
schon früher. Ich hatte mir noch zu
aktiven Schwimmzeiten eine Eigen­
tumswohnung in Hamburg gekauft.
Ich verdiente mit Prämien, Preis- und
Sponsorengeldern so gut, dass ich
­einen Großteil ins Training investier­
te und trotzdem dachte, die Wohnung
kann ich mir zusätzlich leisten. Kurz
nach der Unterzeichnung des Kauf­
vertrags aber ging ein Hauptsponsor
pleite, und die Finanzierung geriet in
Schieflage. Auch meine Beteiligun­
gen an einem Filmfonds und e­iner
Schiffsgesellschaft erwiesen sich
­später als schlechte Investitionen. Der
Teufelskreis begann, auch wenn die
Schulden erst mal zu verkraften wa­
ren, weil ich die Wohnung und eine
Lebensversicherung verkaufen konnte.
Aber als ich 2008 mit dem Schwim­
men aufhörte, war der Schuldenberg
immer weiter gewachsen. 2011 ­trennte

Beratung
Krise
Struktur
ich mich vom Vater meiner
älteren Tochter. Ich war nun
alleinerziehend, ledig und
verdiente nicht genug, um
auch noch Rückzahlungen
leisten zu können. Meine
Eltern zahlten laufende Ver­
sicherungen. Von Freunden
lieh ich mir Geld, aber im­
mer nur, wenn ich wusste,
in Kürze kommt wieder ein
Honorar, sodass ich es schnell zurück­
zahlen konnte. Dieses dauernde Um­
schichten wurde auch mental kom­
pliziert. Mir schlugen die Schulden
aufs Gemüt. Eine der drei Säulen im
­Leben – Geld, Gesundheit, Familie –
war weggebrochen. Und dann fällt
ja bekanntlich schnell die nächste.
Ich stand nie an einem Abgrund,
aber ich dachte in den schlimmsten
Zeiten schon häufig: Macht das alles
noch Sinn? Wo ist denn dieses be­
rühmte Licht am Ende des Tunnels?
Ich war deprimiert, und es war völ­
lig egal, dass ich mal Medaillen und
Wettkämpfe gewonnen hatte. Jetzt
war ich nur noch ein Mensch in gro­
ßer Geldnot. Gut vier Jahre dauerte
es, bis ich erkannte: Du brauchst Hil­
fe, und die musst du dir selbst holen.
Es war wie eine Erlösung – und vie­
les fügte sich positiv. Ich beantragte
Hartz IV, fand eine kleine Wohnung,

Hamsterrad

Haltung

Sinnlosigkeit
Realitätsverlust

Hilfe
einen Bürojob in Lübeck und eine tol­
le, engagierte Schuldnerberaterin, die
mich 2013 in die sechs Jahre dauernde
Privatinsolvenz führte und mich bis
heute betreut. Immer wenn ich mehr
als das festgelegte Lebensminimum
verdiene, zahle ich Schulden zurück.
Das ist mir sehr wichtig. Schließlich
habe ich mir Geld geliehen, das ande­
ren gehört und ihnen fehlt.
Im Rückblick sage ich: Okay, ich
habe eine Erfahrung gemacht und
offenbar lange unter Realitätsverlust
gelitten, weil ich dachte, alles allein
lösen zu können. Heute weiß ich es
besser: Such dir jemanden, der unbe­
teiligt ist und mit klarem Kopf an die
Sache rangeht. Hinfallen kann jeder,
das Aufstehen ist die Kunst.
SANDRA VÖLKERS BIOGRAFIE:
„An Land kannst Du nicht schwimmen“,
Verlag Orell Füssli, 19,95 Euro
FÜR SIE

03/2016

51









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