Babbelrassel (PDF)




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Author: susanne

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Welch ein Wahnsinn.
In fabelhafter Fasson rahmte ein mintgrünes Sommergewand, ihren natürlichen,
sonnengebräunten Körper ein. Volles schulterlanges, offenes Haar brillierte ladend.
Große Augen spiegelten einen klaren, ernsten Blick und Orangenblütenduft vollendete
ihre irdische Erdichtung in mystischer Methodik. Helena wurzelte mit einem kleinen,
schäbigen Koffer im Haupteingang der Psychiatrie Geisteskalauer am
Schöpfertumsknalleffekt und frische Neugier versklavte gerade ihren Blick zum Bückling
der Erkundungslust. Giftgrüne Wände dekorierten den Flur in widerlicher Weise.
Mannigfaltige Patientenkreationen prangerten lockend vor ihren Augen und unter den
Malereien präsentierten sich Helena verschiedene Sentenzen in kräftigem Rot, notiert in
Schreibschrift. Helena lass: Ändern kannst du immer nur dich selbst, dich selbst aber
immer. „Hallo Frau Lehm“, empfing sie eine große, ältere Krankenschwester.
„Willkommen auf der 1 c. Ich bin Schwester Monika. Folgen sie mir, ich zeige ihnen ihr
Zimmer.“
Schwester Monika dirigierte Helena einen langen, trostlosen Korridor entlang, an dessen
Decke künstliches Licht eine abscheuliche Atmosphäre verbreitete. Mit ruhigem
Gewissens kann man behaupten, dass sich an diesem Ort eine still, schreiende
Traurigkeit erbarmungslos ihre Opfer nahm. “Wo bin hier ich nur gelandet?“, sinnierte
Helena resignierend und wurde gerade Zeugin wie sich eine ältere, korpulente Dame
den Flur entlang näherte. Helena erschrak. Diese menschliche Erscheinung schien von
unbekannter Wesensart, fern ab von dieser Welt, just dem Orkus entflohen zu sein.
Unergründliche Verzweiflung füllte den Blick dieser unheilvollen Frau, ein einfaches, mit
Blumen übersähtes Nachthemd lumpte über ihren käsigen, schwabbligen Körper und
Schuppen suhlten sich auf ihrem fast kahlen Kopf.
Modriger Geruch stieg in Helenas Nase, je näher die vermeintliche Dame kam und sie
beschlich ein tief mulmiges Gefühl. Rasch glich Helena ihre Schritte näher an Schwester
Monikas an und versuchte beim Vorbeischreiten nicht in des Weibsstücks desolatem
Blicke zu stranden. „Hier ist ihr Zimmer, Frau Lehm“, sprach Schwester Monika in
anteilnahmsloser Kundenphonetik und verwies mit ihren dürren, alten Fingern auf eine
mittelgroße, dunkelblaue Zimmertür. „Ihr Bett befindet sich an der Fensterseite. Sie
können es nicht verfehlen. Es ist das einzige, unbezogene Bett in diesem Raum. Gehen
sie rein, packen sie ihre Sachen aus und kommen sie dann zur Rezeption.“ Kaum hatten
sich die Worte aus ihrer Kehle gezogen, war Schwester Monika auch schon wieder am
Verschwinden und Helena konnte gerade noch hinterher rufen: „In Ordnung“.
Sie öffnete langatmig die dunkelblaue Tür und war erleichtert. Niemand da. Der Raum
für ein Zimmer in dieser Lage war ausreichend groß und in einem Brechbraun gehalten.
Ein türgroßer Spiegel sowie drei rotbuchene Kleiderschränke befanden sich auf der
rechten Seite vom Eingang. Links lag der Zugang zu einem quietschgelben Bad und
geradeaus mauerten zwei Fenster mit Blick in den Psychiatriegarten. „Na spitze“, urteilte

Helena und bewegte ihren grazilen Körper zu dem am Fenster ruhenden Bett, um sich
kurz zu setzen und für einen kleinen Moment Luft zu schnappen. „Die wollen mir
hoffentlich nicht weiß machen, dass ich geistig gesunden kann, wenn sich meine Augen
derartige, farbliche Absonderheiten bieten lassen müssen. Brechbraune Wände? Fühle
dich nicht nur elendig, sondern sieh dir das Grauen auch noch täglich an?“,
doppeldeutete sie im Geiste und stutzte plötzlich, als eine hübsche Frau in den 30igern,
die Tür ruckartig öffnete. Panisch ergriffen, stürmte die Unbekannte mittelgroße,
aschblonde Dame mit Hippiklamotten bedeckt, ohne Rücksicht auf Helena, auf das in
der Zimmermitte sich befindende Bett zu und warf sich wie ein sterbender Schwan
darauf, um ihre Theatralik mit viehischem Geschluchze zu krönen.
„Sternstunde. Erst begrüßt dich eine miefende Zombierella und nun reicht man dir
einen Willkommenstrunk mit Schluchzmarie. Du bist eindeutig im Irrenhaus“, schimpfte
Helena innerlich. „Kann ich dir helfen“, bot sie der offensichtlichen, zukünftigen
Zimmergenossin ihre Hilfe an. „Nun habe ich auch noch mein schönes Bett zerstört“,
erwiderte Schluchzmarie sichtlich erregt, schaute Helena mit winzigen Augen grimmig
an und deutete per erboster Kopfbewegung auf die Falten im Bett, die durch ihr eigenes
Körpergewicht verursacht worden waren. Helena schloss, dass die kauernde Dame
komisch sei und reagierte resultierend mit Humor: „Na Mensch, da hast Du aber
ordentlich Mist gebaut. Wie heißt Du denn?“ Die lamentierte Heulboje replizierte mit
klopfenden Fäusten auf ihrem Bett: „Mein Name ist Fritzi und das hier ist mein Bett. Es
ist zerstört. Zerstört ist es!“ „Ja, ich kann erkennen, dass dein Bett zerstört ist, Fritzi. Ich
schlage vor, dass du deinen Hintern sofort hoch bewegst und die Falten ganz schnell
wieder weg machst, bevor dich der Bettenteufel holen kommt“, entgegnete Helena im
gleichmütigen Tonfall und packte weiter ihre Sachen aus. Planlosigkeit verführte Fritzis
Augen zu einem hektischen Getanze, so dass sie wie vom Blitz getroffen aufsprang und
Helena gehorchte. „Da hinten hast Du eine Falte übersehen“, fabelte Helena sich der
darbietenden Show nun etwas zugetaner und wedelte leicht vergnügt mit ihrem rechten
Zeigefinger. „Oh, vielen Dank“, trällerte Fritzi erleichtert, um anschließend wie aus einem
Spionageroman entkommen, Helena über Dies und Das auszufragen.
Auf dem Weg zur Rezeption rieselten facettenreiche Sinneseindrücke bombenartig in
Helenas Wahrnehmungsvermögen. Der erbarmungslose Farbkomplex bemächtigte sich
durchgängig der gesamten Psychiatrie Geisteskalauer am Schöpfertumsknalleffekt und
ergötzte sich rotzbengelhaft an seinem disharmonischen Streichen, in dem er in
Helenas Hals Würgreflexe schonungslos stimulierte. Helena zentrierte sich. Über der
Rezeption flackerte in grellorgane ein Schild mit der Aufschrift: Irrsinnige Sammelstelle.
Alle Patienten der Abteilung 1c hatten sich wie in einer Gänsemarschformation an der
Rezeption versammelt. Jeder von ihnen hielt einen kleinen Becher in der Hand und
wenn man an der Front war, schmiss Schwester Monika bunte Pharmazeutika hinein.
Erwartungsgemäß würde man in beschwerte Gesichter blicken, aber die Patienten der
1c schienen vom vorfreudigen Getummel befallen. Das Raumklima glich einer

punkrockigen Guruanbetung. „Seelisch Verletzte auf dem Nirvanafeste“, flaxte Helena
kopfschüttelnd, ergab sich dem Gruppenzwang und reihte sich ein.
„Hallo Frau Lehm. Hier sind ihre Tabletten. Der Arzt hat ihnen antisuizidale Pillen
verschrieben“, ordnete Schwester Monika, als sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich
am Rezeptionsschalter angelangt war, an. „Momentmal. Ich habe bis dato mit keinem
Arzt gesprochen und nun soll ich schon Tabletten nehmen?“, widersprach Helena in
vehementer Körpersprache. „Keine Widerworte, Frau Lehm. Der Arzt hat sie ihnen
verschrieben. Schauen sie hier, da steht es!“, mahnte Schwester Monika, deren
rappelkurzes Haar wie ein Igel frisiert hochragte. „Ich bin entzückt, dass der Arzt
schreiben kann. Kann er denn auch sprechen?“, entgegnete Helena scharf und lächelte
freundlich. „Was wollen sie damit sagen?“ Schwester Monikas Augen wuchsen zu
glühenden Kometen an und ihre Arme stempten in ihrer Hüfte. „Ganz einfach. Bevor ich
hier mit keinem Arzt gesprochen habe, werde ich keine chemischen Substanzen
nehmen. Ich leide an einem seltenen Gendefekt, der die Informationsverarbeitung
meines Körpers, im Vergleich zu einem Normalsterblichen, in umgekehrter Art und
Weise wirken lässt. Sprich, was der Normalsterbliche in der Regel verträgt, hat bei mir
nicht unüblich ein entgegengesetztes Ergebnis. Wenn sie mir jetzt also antisuizidale
Pillen verabreichen, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich erneut aus dem
Fenster springen will und das wollen wir doch nicht, oder?“, fragte Helena bestimmend
und kam Schwester Monika unangenehm näher. „Wenn sie mich so fragen, hätte ich im
Moment nichts dagegen einzuwenden, Frau Lehm“, striezte Schwester Monika
missfallend über Helenas Eigensinn, legte die Tabletten bei Seite und überreichte ihr
eine frische Bettwäsche, mit dem forschen Verweis, dass es um 18 Uhr Abendbrot gibt.
Bis dahin habe Helena sogenannten Freigang.
Helena nahm die begefarbene Bettwäsche augenrollend an sich, ging in ihr Zimmer,
überzog damit das Bett, schnappte sich einen kleinen Notizblock und begab sich zum
Aufenthaltsraum. Fritzi hatte ihr berichtet, dass man in ihm entspannen könne, ohne
Störerei der Schwestern und das war genau das, was Helena jetzt wollte. Im
Aufenthaltsraum angekommen, bot sich ihr eine märchenhafte Szene. Keine
Menschenseele tummelte sich in ihm. Eine tiefe Ruhe schmolz cremig zwischen
perlmuttschimmernden Wänden. Links plätscherte lieblich ein vom Lichtspiel gekitzelter
Zimmerbrunnen, zwischen saftgrünen, prächtigen Raumpflanzen. Kaiserlich vorgeführt,
baten anmutige Orchideen, auf den rechts liegenden, silbernen Fensterbänken zur
Niederlassung und meditative Klänge schwangen eng umschlungen mit einer warmen
Sommerbrise, die sich der offenen Balkontür sanft ableitete. Helena strebte geradewegs
auf den Balkon zu, setzte sich auf einen der vielen hölzernen Stühle in die Sonne und
breitete ihren Notizblock aus. In schwarzer Tinte schrieb sie:
Auf dem allgegenwärtigen, bunten Maskenball streift der Mensch umher und findet sich
in den verschiedensten Kostümen wieder. Im göttlichen Lebenstanze reflektiert ihm ein
magischer Spiegel den geistigen Sprössling, welcher der Tabula Rasa nicht entkam.

Schöpfend aus diesem, einen Ursprung heraus, erkennt der Mensch den
gedankenleeren, augenblicklichen Freiraum, welcher ihm eine zweite, weise Kindheit
humorvoll überreicht. Sein plötzlich frei gewordenes Gemüt, dessen wahres Sein hinter
Worten verschleiert, kennt die Schwestern und Brüder im Geiste. Dagegen verliert sich
das Menschenkind im albernen Gedanken- und Kommunikationskreisläufen. Rastlos
suchend, nach der ersehnten Erlösung von seinem kleinen, schwer zu befriedigenden
Ego, stellt das Menschenkind irrwitzige Rechtsansprüche an den leeren Raum und
verharrt kampfbereit in einem illusionären Kleid aus Zeit. Es hat sich der Nächstenliebe
beraubt und rekonstruiert immer wiederkehrende Phrasen in wandlungsfähiger
Variationsvielfalt. Das Menschenkind ist gefangen in einem gigantischen
Neuronenschloss, gebaut aus fantastrillonen Verknüpfungen, welche subjektiven
Erfahrungswerten entsprangen. Von diesem Thron herab, führt es mit der Welt einen
erbarmungslosen Glaubenskrieg, um die relative Wahrheit. Das Menschenkind wird
älter, grauer, aber seit Jahrhunderten nicht schlauer. Nagelt mich ans Kreuz. Aber als
ich erkannte, was die Menschenkinder sich gegenseitig antun und wie sich ihre tödliche
Gier rücksichtslos, exponentiell steigert, ei, da wurde mir ja so richtig kotzübel ey.
Mensch, da könnt man doch glatt vom Balkon springe. Ihr hungernden Menschen auf
dieser Welt: Wahnsinn! Das neue iPhone ist gelb!






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